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#OsaivbieBleibt – Öffentliches Statement

Jährlich werden tausende Menschen in ihre Herkunftsländer oder andere EU-Staaten abgeschoben – ungeachtet dessen, was sie dort erwartet. Menschen werden entgegen ihrem Willen und nicht selten rechtswidrig aus ihrem gewohnten Lebensumfeld gerissen und Familien getrennt. So schrecken die deutschen Behörden weder bei Menschen, die bereits seit Jahren in Deutschland leben oder gar hier geboren wurden, noch bei Menschen in vulnerablen oder prekären Lebenslagen vor einer gewaltvollen Abschiebung zurück. Eine Politik, die vollkommen außer Acht lässt, dass hinter all diesen Entscheidungen menschliche Schicksale stehen. Menschen, die ihre ganz eigenen Gründe haben und hatten, ihre Heimat zu verlassen.

Auch Osaivbie Ekogiawe – liebevoll „Kelvin“ genannt – ist weiter akut von einer Abschiebung nach Nigeria bedroht. Osaivbie stellte nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland im Juni 2022 einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach § 25a AufenthG („Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden“), für dessen Gewährung er bis heute alle Anforderungen erfüllt. Noch während Osaivbie innerhalb der ihm vorgegeben Frist seinen Mitwirkungspflichten nachkam und seinen Reisepass bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Unterfranken einreichte, ordnete diese seine Abschiebung an. Kelvin wurde wenig später wie ein Schwerstverbrecher in Handschellen abgeführt, in Polizeigewahrsam genommen und sollte im Oktober 2022 abgeschoben werden. Nachdem sich weite Teile der Würzburger Zivilgesellschaft der Abschiebung in Form eines lautstarken Protests entgegengestellt hatten, entschied das Verwaltungsgericht Würzburg, dass Osaivbie erneut eine „Duldung“ (§ 60a AufenthG) ausgestellt werden sollte. Die Entscheidung, dass Kelvin weiter in Würzburg verbleiben und seiner Ausbildung zum Sozialpfleger nachgehen dürfe, betrachtete die ZAB allerdings als inakzeptabel und legte Einspruch ein. Der Verwaltungsgerichtshof München gab der ZAB daraufhin am 20. Februar 2023 recht und bestätigte somit die ursprüngliche Anordnung der Abschiebung. Und das, obwohl Osaivbie in Nigeria nachweislich massive Gewalt sowie konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen.

Während wir unter dem Namen der Kampagne „#OsaivbieBleibt“ weiterhin um das Bleiberecht von Kelvin kämpfen müssen, dürfen wir nicht vergessen, dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt. Diese Situation ist weder ein Versehen noch durch schludriges Verhalten oder einen Alleingang der ZAB Unterfranken zustande gekommen. Dieses perfide und hinterhältige Vorgehen hat System. Ein System, das der Kriminalisierung von Bewegungsfreiheit dient und Ausnahmen nur für diejenigen vorsieht, deren Anwesenheit als ökonomisch und politisch nützlich betrachtet wird. Ob Ausländerbehörde, Polizei, Erstaufnahmeeinrichtungen oder BAMF – sie alle tragen maßgeblich zur bewussten Aufrechterhaltung der vorherrschenden Machtstrukturen und kolonialen Herrschaftsverhältnisse bei und setzen so ein in unserer Gesellschaft tief verwurzeltes rassistisches Weltbild in gewaltvolle Realität um.

Entsprechend wäre es falsch, sich der Illusion hinzugeben, dass es einen Fall wie den von Kelvin noch nie gab oder nie wieder geben wird. Sammelabschiebungen, welche Menschen deren Lebensgrundlage berauben und sie nicht selten in den sicheren Tod schicken, finden wöchentlich statt. Dass es Osaivbies Fall an die Öffentlichkeit geschafft hat, ist vielmehr dem Zufall und nur seinem großen sozialen Netzwerk sowie dem Engagement von Teilen der Würzburger Zivilgesellschaft zu verdanken. Die meisten Kämpfe gegen Abschiebungen erfolgen nämlich fernab von der breiten Öffentlichkeit und bleiben in isolierten Lagern unsichtbar.

Wir weigern uns, die herrschende Politik von Abschiebungen und Ausgrenzung tatenlos hinzunehmen und treten dafür ein, dass Menschen frei entscheiden dürfen, wo sie leben können und wollen. Wir wollen in einer solidarischen Stadt leben, die sich dafür einsetzt, dass Menschenrechte ausnahmslos und bedingungslos für alle Menschen gelten. Wir fordern Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Wir wenden uns entschieden gegen jede Form der rassistischen Diskriminierungen und der Willkür von Behörden und Ämtern. Wo es notwendig wird, werden wir in einem gemeinsamen Akt des zivilen Ungehorsams und der gelebten Solidarität Sand ins Getriebe der Abschiebemaschinerie streuen und einen Beitrag leisten, diese unmenschliche Praxis unmöglich zu machen.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Verantwortlichen der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken auf, Osaivbie Ekogiawes zuvor gestellten Antrag auf den ihm rechtmäßig zustehenden Aufenthaltstitel nach § 25a AufenthG umgehend sowie ohne weitere Verzögerungen zu bearbeiten. Darüber hinaus fordern wir sowohl von der ZAB Unterfranken sowie allen anderen Ausländerbehörden der Bundesrepublik Deutschland, –

  • die Anerkennung und rechtmäßige Umsetzung von bestehenden Bleiberechtsregelungen,
  • die umfassende Aufklärung über Rechte und Möglichkeiten der Aufenthaltsverfestigung,
  • die Sicherstellung und Gewährleistung von fairen und transparenten Verfahren,
  • die Unterlassung jeglicher Willkür und Täuschungsversuche,
  • den Übergang von Duldungen zu langfristigen Aufenthaltstiteln zu erleichtern und aktiv zu fördern,
  • den Zugang zu Beschäftigung, Ausbildungs- und freiwilligen Integrationsangeboten, insbesondere auch für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, zu erleichtern,
  • die Anerkennung und Respektierung individueller Fluchtgründe in Bezug auf die Gewährung von Aufenthaltstiteln,
  • die Zuerkennung von krankheitsbedingten Abschiebungshindernissen und vermeintlich oder nur teilweise vorhandene medizinische Versorgungsmöglichkeiten in Drittstaaten nicht als Abschiebungsgrund anzuerkennen.

Lasst uns gemeinsam laut sein gegen Abschiebungen und für ein bedingungsloses Bleiberecht für alle!

Kontakt: osaivbiebleibt(at)riseup(dot)net
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